Die Illusion der Selbstgenügsamkeit
Wir leben in einer Kultur, die Selbstoptimierung und Eigenverantwortung feiert. "Du schaffst das!" ist das Mantra unserer Zeit. Unbewusst übertragen wir diese Haltung oft auf unseren Glauben. Wir versuchen, frommer zu werden, weniger zu sündigen, geduldiger und liebevoller zu sein – und scheitern dabei regelmäßig an unseren eigenen Ansprüchen. Dieser Kampf ist zermürbend und führt oft in eine Spirale aus Frustration, Schuldgefühlen und geistlicher Erschöpfung. Doch genau hier setzt die revolutionäre Botschaft des Evangeliums an. Es ist keine Botschaft der Selbstverbesserung, sondern der Selbstergebung und der neuen Identität in Christus.
Die radikale Wahrheit von Galater 2,20
Der Apostel Paulus bringt das Geheimnis des siegreichen Glaubenslebens in Galater 2,20 auf den Punkt. Dieser Vers ist kein frommes Ideal, sondern eine geistliche Realität für jeden, der an Jesus Christus glaubt. "Ich bin mit Christus gekreuzigt" – das ist ein vollendetes Faktum. Unser altes Ich, das unabhängig von Gott leben wollte, wurde am Kreuz gerichtet und seiner Macht beraubt. Die Folge ist: "…und nun lebe ich, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir." Das ist kein Gefühl, das mal da ist und mal nicht. Es ist die fundamentale Wahrheit unserer neuen Existenz. Christus selbst, durch seinen Geist, hat in uns Wohnung genommen. Er ist die Quelle unseres neuen Lebens.
Was es bedeutet, "in der Kraft des Geistes" zu leben
In der Kraft des Geistes zu leben bedeutet nicht, in einer permanenten Euphorie oder in übernatürlichen Ekstasen zu schweben. Es ist viel praktischer und alltäglicher. Es bedeutet, bewusst von einer anderen Quelle zu trinken. Anstatt uns selbst anzutreiben, lernen wir, uns vom Geist Gottes tragen zu lassen. Es ist der Unterschied zwischen einem Segelboot, das mit eigenen Rudern gegen den Wind kämpft, und einem Boot, das seine Segel dem Wind ausrichtet und sich von ihm kraftvoll vorantreiben lässt. Der Heilige Geist ist dieser Wind. Unsere Aufgabe ist es nicht, ihn zu erzeugen, sondern unsere Segel – unser Vertrauen, unseren Gehorsam, unsere Hingabe – für ihn auszurichten.
Praktische Schritte in die Abhängigkeit
Wie sieht diese Haltung der Abhängigkeit im Alltag aus? Es beginnt mit der Hingabe am Morgen. Ein einfaches Gebet wie: "Herr, heute gehört dir mein Tag. Ich kann nichts aus mir selbst heraus. Bitte lebe dein Leben durch mich. Fülle mich mit deinem Geist." Das ist kein magisches Formular, sondern eine Haltung des Herzens. Es geht weiter mit einem bewussten Umgang mit Versuchungen. Anstatt zu sagen "Ich werde nicht schimpfen/nicht lügen/nicht ungerecht werden", rufen wir im Moment der Versuchung bewusst den Herrn an: "Herr, ich sehe diese Versuchung. Ich weiß, dass ich ihr in meiner Kraft nicht widerstehen kann. Aber dein Geist in mir ist stärker. Zeige mir den Ausweg und gib mir deine Kraft." Das ist aktive Abhängigkeit.
Ein weiterer Schlüssel ist das Hören auf die leise Stimme. Der Heilige Geist redet oft durch ein sanftes inneres Warnen, eine Ermutigung oder die plötzliche Erinnerung an einen Bibelvers. Wenn wir lernen, inne zu halten und auf diese Stimme zu hören, anstatt ihr zu widersprechen oder sie zu übergehen, erleben wir seine Führung konkret. Schließlich gehört dazu das Bekenntnis der Abhängigkeit im Scheitern. Wenn wir gesündigt haben und versagt haben, neigen wir dazu, uns zu verstecken oder uns selbst zu verfluchen. Der Weg des Geistes ist es, sofort zu Jesus zu kommen und zu bekennen: "Herr, ich habe wieder aus meiner eigenen Kraft gehandelt. Ich brauche deine Vergebung und deine Reinigung. Fülle mich neu mit dir."
Die Frucht, die daraus erwächst
Wenn wir aufhören, die Frucht selbst produzieren zu wollen, und stattdessen im Geist bleiben, bringt Er seine Frucht in uns hervor: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Galater 5,22-23). Diese Frucht ist die natürliche Ausstrahlung von Christus in uns. Es ist sein Friede, der unser Herz bewahrt. Seine Geduld, die durch uns wirkt. Seine Liebe, die andere durch uns erreicht. Unser Leben wird nicht mehr von der quälenden Frage "Bin ich gut genug?" getrieben, sondern von der befreienden Gewissheit "Christus in mir ist meine Gerechtigkeit und Kraft." Das ist der tiefste Frieden und die größte Freude, die ein Mensch erfahren kann.